Bei FASD handelt sich um eine Spektrumstörung: Jeder Betroffene kann andere Schädigungen und Problembereiche aufweisen. Es treten nicht alle Störungen bei jedem Betroffenen auf!

Neben körperlichen Schädigungen wie z.B. Herzgeräuschen, Herzfehler, Augenauffälligkeiten, Schluckbeschwerden gibt es eine ganze Reihe weiterer Probleme, die Menschen mit FASD das Leben erschweren können.

Entwicklung im Säuglingsalter, und in der frühen Kindheit

Für Säuglinge mit FASD können die ersten Lebensmonate sehr schwierig sein. Manche von ihnen durchleiden ein Entzugssyndrom, vor allem jene, die vor der Geburt  regelmäßig und in großen Mengen Alkohol ausgesetzt waren. Das Entzugssyndrom bei Babys kann sich durch Zuckungen, Schlafstörungen, Darmarbeitsstörungen und extremer Überempfindlichkeit äußern. Manche kommen mit neuen Reizen nicht zurecht, das Nervensystem ist überfordert. Kinder mit FASD können als Frühgeburten mit sehr niedrigem Gewicht zur Welt kommen. Manche haben Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme. Ursache hierfür können  die schwache Entwicklung ihrer Saugreflexe, eine geschwächte Schluckmuskulatur und eine unregelmäßige Mundhöhlenstruktur sein. Diese Faktoren können einen Einfluss auf die verzögerte Entwicklung des Kindes haben. Bei den meisten Säuglingen und kleinen Kindern mit FASD treten die folgenden Symptome auf:

      • Reizbarkeit, Nervosität und Unruhe, intensive Schreiphasen und Spannungszustände
      • Klang- und Lichtüberempfindlichkeit
      • Schlafstörungen
      • Saug- und Schluckprobleme
      • Schwache Muskulaturentwicklung
      • Infektanfälligkeit
      • Entwicklungsverzögerungen
Wie betreut man einen Säugling und Kleinkind mit FASD:

Neben der Bedürfniserkennung des Kindes kann folgendes hilfreich sein:

  • Lichtquellen verdunkeln
  • Lärm so gut wie möglich vermeiden
  • Neue Reize nur einzeln und stufenweise einführen
  • Beruhigung des Kindes bei Überreizung (z.B. mit einem warmen Bad, ruhiger Musik und sensiblem Wiegen)
  • Ein Schlafritual einführen
  • Weiche und gemütliche Bettbezüge, sowie Begrenzungen verwenden
  • Unnötige Bewegungen jeglicher Art vermeiden: Überprüfen, ob das Bett des Kindes beispielsweise nicht knirscht
  • Unnötige Dekorationen im Kinderzimmer entfernen oder in geschlossen Kästen verstauen
  • Das Kind mit ruhiger Stimme ansprechen.

Im ersten Lebensjahr entwickeln sich die meisten Kinder schneller, als in jeder anderen Lebensphase – auch Kinder, die an FASD leiden. Manche Meilensteine erreichen sie allerdings später als gesunde Kinder. Umso hilfreicher ist es, sich über jeden kleinsten Erfolg der Kinder zu freuen. Ein schöner Brauch stellen beispielsweise Tagebucheintragungen dar (z.B. erstes Lächeln, erstes Krabbeln und eigenständiges Stehen, Verwendung des ersten Wortes).

Betroffene Kinder nehmen meist nur wenig an Gewicht zu, obwohl sie korrekt ernährt werden. Das Untergewicht kann bis zur Pubertät anhalten. Dann verändert sich – insbesondere bei Mädchen – häufiger die Figur, und sie können korpulent werden. Verspätetes Wachstum kann die ganze Kindheit über auftreten. Es ist wichtig, das Gewicht des Kindes sorgfältig im Auge zu behalten, für eine nährstoffreiche Diät zu sorgen, jedoch nicht in Panik zu verfallen: Untergewicht und geringes Wachstum stellen eine der 4 diagnostischen Säulen bei FASD dar.

Aufgrund der Schwierigkeiten im Schlaf-Wach-Rhythmus ist es häufiger hilfreich, dem betroffenen Kind den Tagesablauf “vorzuschlagen”, und konsequent mit Routinen zu befolgen.

Säuglinge und Kinder mit FASD können Bindungsschwierigkeiten haben. Sie können dann nicht zwischen einer fremden oder einer nahestehenden Bezugsperson unterscheiden. Es sollte Wert auf eine sichere Bindung gelegt werden, und das Kind wachsam betreut werden. FASD betroffene Kinder benötigen eine sichere Spielumgebung, und mehr Aufsicht als ihre gesunden Altersgenossen. Das Spiel sollte jedoch nicht “verkrampft” stattfinden.

Entwicklung im Kindergarten- und Vorschulalter

Betroffene Kinder im Vorschulalter sind oft freundlich, herzlich und geschwätzig. Bei manchen ist die Sprachentwicklung verzögert. Häufig verfügen sie jedoch über einen durchaus hohen Wortschatz, was sich oftmals jedoch nicht in ihrem Sprachverständnis widerspiegelt. Ihre kognitiven und grob- und/oder feinmotorischen Fähigkeiten können auf einem niedrigeren Niveau bleiben.

In diesem Alter fällt bei manchen Kindern ein großes Maß an Unruhe und Reizoffenheit auf. Sie haben Schwierigkeiten, von einer Aktivität zur nächsten zu wechseln, oder mit Änderungen im Tagesplan zurecht zu kommen. Sie ärgern sich schnell, und neigen zu Stimmungsschwankungen und intensiveren Wutausbrüchen. Mit Gleichaltrigen ecken sie häufiger an, und haben Schwierigkeiten im Aufbau beständiger Freundschaften.

Kinder mit FASD können Risiken oftmals nicht gut einschätzen, oder aus Fehlern und Erfahrungen lernen. Regeln müssen tagtäglich neu geübt werden. In manchen Familien kann daher eine dauernde Aufsicht notwendig sein, was die Bezugspersonen sehr erschöpfen kann. Hier ist ein gut geschultes Netzwerk (mit Kenntnissen über FASD-Besonderheiten!) zwecks Entlastung hilfreich.

Entwicklung im Schulalter

Gerade mit Beginn der Schulzeit können durch die hinzu kommenden Leistungsanforderungen im kognitiven und sozial-emotionalen Bereich vorhandene Schwierigkeiten und Beeinträchtigungen stärker manifest werden, zu Überforderung und damit zu verstärkten Verhaltensauffälligkeiten führen. Die Bandbreite kann u.a. folgende Schwierigkeiten umfassen:

  • Gedächnis-, Lern- und Merkfähigkeitsprobleme trotz evtl. normalem IQ, Schwankungen im Lernverlauf.
  • Schwierigkeiten im abstrakten und numerischen Denken (Rechnen mit Malreihen, Größen, Verständnis für Zeit und Geld).
    Für betroffene Kinder ist das Verständnis vom Wert des Geldes schwierig: Sie denken, dass sie mit einer 1 Euro Münze einen Lutscher oder einen Computer kaufen können. Beides ist doch ein Stück Geld. Deswegen sollte man den Zugang zu Geld beschränken.
  • Schwierigkeiten in der Regeleinhaltung und dem Transfer von einer Regel auf eine andere Situation, kaum Lernen aus Erfahrungen und Fehlern. Die Lehrerin sagt z.B.:
    ‚Spiel nicht mit dem Ball an diesem Fenster‘. Das Kind hält sich daran, kann aber nicht verstehen, dass es auch bei dem Fenster daneben nicht spielen darf. Spielt es dann beim anderen Fenster sieht die Lehrerin dies als Provokation, das Kind versteht aber nicht, warum es schon wieder etwas falsch gemacht hat.
  • Konzentrationsprobleme, leichte Ablenkbarkeit, Schwierigkeiten in der Impulskontrolle.

Die komplexe Schulumgebung kann sehr schwierig für Kinder mit FASD sein. Sie fühlen sich erdrückt von den Ansprüchen, die an sie gestellt werden, und die sie oftmals nicht altersadäquat verstehen können. Lernschwierigkeiten machen sie wütend, frustriert und unwillig, zu kooperieren. Sie würden lieber noch spielen. Auf Lehrer machen sie dadurch oft den Eindruck, sie seien frech, unerzogen, provokativ und faul.

Hier ist ein über FASD aufgeklärtes Lehrerkollegium und eine möglichst kleine Gruppengröße hilfreich. Man muss genau hinschauen, mit dem Kind reden, ihm zuhören, und herausfinden, wo die genauen Probleme liegen, die durch die Hirnschädigung verursacht sind. Ein enger Austausch (z.B. in Form von regelmäßigen Gesprächen oder einem Korrespondenzheft) zwischen Bezugspersonen und LehrerInnen ist empfehlenswert.

Beispiele vom Umgang mit einem Kind mit FASD zu Hause und in der Schule:

  •  Einsatz von Techniken, die mehrere sensorische Kanäle ansprechen (Sehen, Hören, Fühlen, Geschmack, Geruch).
  • Vereinfachen von Materialien, Illustrationen und visuelles Lernmaterial verwenden.
  • Eine Erzählung auf Band aufnehmen, sodass das Kind während dem Lesen auch zuhören kann.
  • Einsatz kurzer Gedichte, die beim Merken helfen, z.B. bei der Reihenfolge der Schritte beim Schuhbinden, z.B. ‚Hasenohr, Hasenohr, einmal rum dann durchs Tor‘. Einsatz von Rhythmik (Klopfen, Klatschen).
  • Enge Hilfestellung: Zeigen, was zu tun ist. Aufgaben zerteilen, und einen Schritt nach dem anderen vorgeben.
  • Während des Lesens können die schon gelesenen Zeilen abgedeckt werden.
  • Immer klar und deutlich formulieren. Ironie, Sarkasmus, Metaphern und abstrakten Humor meiden.
  • Neue Wörter stufenweise einführen, und auch nur dann, wenn die vorherigen von dem Kind bereits gelernt wurden.
  • Nicht “Wieso?” fragen, lieber “Ist das richtig?” nutzen. Einfache Wahlmöglichkeiten anbieten, die Auswahl beschränken. Zu viele Wahlmöglichkeiten frustrieren das Kind.  Eine einfache Frage „Was möchtest du heute zu Mittag essen?“  kann zu schwierig sein. Es ist sicherer zu fragen: „Möchtest du zu Mittag Pfannkuchen oder Teigtaschen?“.
  • Wiederholungen einbauen.
  • Sichergehen, ob das Kind Lerninhalte verstanden hat.
  • Einprägen, dass mit Dingen anderer Menschen respektvoll umzugehen ist: Kinder mit FASD eignen sich häufig fremdes Eigentum an. Sie verstehen nicht, was stehlen bedeutet. Es ist wichtig, dem Kind zu lehren, dass es fragen soll, bevor es sich etwas nimmt, das nicht ihm gehört. Das sollte überall gelten: Nicht nur zu Hause!
Entwicklung in der Jugend und Adoleszenz

Die für Kinder mit FASD typisch schlanke Figur fängt in der Pubertät an, sich zu ändern. Mädchen neigen häufig zur Korpulenz. Nach der Pubertät sind die für Kinder mit FASD typischen Gesichtsmerkmale schwer zu erkennen.

Teenager mit FASD neigen zu Lügen, Diebstahl, und kriminellen Handlungen: Sie sind leicht beeinflussbar und gutgläubig, und können auf diese Weise leicht in Schwierigkeiten geraten. Viele leiden unter einem geringen Selbstwert, weil sie wissen, dass sie anders sind. Oft experimentieren sie mit Alkohol, Drogen, Sexualität. Schulabschlüsse werden nicht erreicht, begonnene Ausbildungen nicht beendet. In dieser Phase besteht ein hohes Depressions- und Selbstmordrisiko.

Teenager mit FASD unterscheiden sich äußerlich kaum von  ihren Altersgenossen, aber ihr Entwicklungsniveau kann dem von Sechsjährigen gleichen. Deswegen brauchen sie Aufsicht und Betreuung, was die Konflikte mit Bezugspersonen deutlich intensivieren kann, weil die Jugendlichen einem natürlichen Drang der Selbständigkeit folgen. Wichtig ist, immer daran zu denken, dass sich FASD nicht „auswächst“, d.h. dass die angeborene Behinderung bestehen bleibt.

Bei der Betreuung eines Teenagers mit FASD kann folgendes hilfreich sein:

  • Struktur anbieten: Einem vorhersehbaren Tagesplan folgen, eine beschränkte Auswahl und klare Regeln und Routinen vorgeben. Anweisungen kurz halten, und nacheinander vorgeben.
  • Aktivitäten beschränken, die eine Überstimulierung erzeugen (z.B. keine Kissenschlachten vor dem Zubett-Gehen; lange Nutzung von TV oder Handy können das Nervensystem eines Teenagers überreizen, und zu verstärkter Impulsivität oder Wutausbrüchen führen, Medienkonsum daher anpassen); Bewegung, und ruhige Aktivitäten in den Alltag einbauen.
  • Eine Ruhezone einrichten, dort niemals tadeln.
  • Sorgsame Aufsicht: Nicht zulassen, dass der Jugendliche in eine gefährliche Situation kommt.
  • Belohnungen nicht vergessen.

Teenager verstehen die Grundlagen von FASD. Man sollte sie über die Details und die Ursachen ihrer Probleme aufklären. Diese Aufklärung kann jetzt spezifischer sein als die, die ihnen in den früheren Lebensjahren gegeben wurde.

Erwachsene mit FASD

Die genannten Schwierigkeiten bleiben auch im Erwachsenenalter bestehen. Es wird jedoch noch seltener als im Kindes- und Jugendalter an eine Diagnose im FASD-Spektrum gedacht. Vielmehr werden psychiatrische Diagnosen gestellt, und in diesem Bereich Behandlungsversuche unternommen, welche aber letztendlich zu keiner Verbesserung der Symptomatik führen.

Die betroffenen Erwachsenen

  • halten soziale Regeln oft nicht ein
  • sind wegen Schlafstörungen oft erschöpft und reizbar
  • sind leicht beeinflussbar von stärkeren Persönlichkeiten
  • zeigen Wutausbrüche und Aggressionen, wenn sie aufgefordert werden, irgendetwas zu machen, was ihnen übertrieben oder unvernünftig erscheint
  • sind oft unfähig, Medikamente regelmäßig einzunehmen(z.B. Pille)
  • sind anfällig für Panikattacken, Depressionen, Suizidgedanken, geistige und emotionelle Überlastungen
  • haben häufig Probleme mit Alltagstätigkeiten wie Geldeinteilung, Haushaltsführung.

Viele erwachsene Betroffene benötigen unbedingt einen geschützten Arbeitsplatz!

Ein Gedanke zum Disziplinieren von Kindern und Jugendlichen, und zur Grenzsetzung:
  • Disziplinierungsreaktionen sollten sofortig ausgeführt, und nicht auf später verschoben werden, da Konsequenzen schwer verstanden werden.
  • Disziplinierung sollte als eine Gelegenheit betrachtet werden, dem Kind korrektes Verhalten zu lehren.
  • Belohnungen wirken besser als Bestrafungen, den Schwerpunkt nicht auf materielle Belohnungen legen. Anstrengungen und Bemühungen des Kindes honorieren.
  • Authentisch bleiben, eigenen Ärger jedoch nicht vor dem Kind bearbeiten, in Konfliktsituationen ruhig bleiben. Auf Erfolge, nicht auf Niederlagen konzentrieren.
  • Kinder mit FASD können Verhaltenweisen, die sie schon einmal gesehen haben, nachahmen. Daher niemals Gewalt anwenden!
  • Gewaltdarstellungen, auch solche im TV oder am Computer meiden: Kinder mit FASD benötigen häufiger als gesunde Kinder ganz klar gesetzte Regeln.
Wie setzt man Kindern mit FASD konkret Grenzen?
  • Immer dieselben Wörter und Beschreibungen benutzen
  • Konkret sein
  • Zweideutige Wörter meiden
  • Langsam sprechen, ohne viele Worte.
  • Visuelle Materialien zur Verdeutlichung einsetzen, z.B. ein Sticker neben dem Waschbecken, um ans Hände waschen zu erinnern
  • Wiederholungen so oft wie möglich.
Haben Kinder und Jugendliche mit FASD besondere Fähigkeiten?

Kinder mit FASD haben viele Talente und Fähigkeiten. Wenn die Diagnose FASD früh gestellt wurde, erhöhen sich die Chancen, ihre Talente und Fähigkeiten zu entwickeln.

Kinder mit FAS sind häufiger:

  • nett, sensibel, freundlich, fröhlich
  •  fürsorglich und mitfühlend, vor allem im Umgang mit kleineren Kindern und Tieren
  • sie lernen eher durch Erfahrung, Berührung und Beobachtung
  • sie freuen sich über Gartenarbeit und andere mechanische Aktivitäten
  • voller Energie, kreativ, und kooperativ bei Problemlösung
  • sie haben ein gutes, lang anhaltendes Bildgedächtnis
  • sie können praktisch, musisch und häufig auch sportlich talentiert sein.
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